Die Arbeitsgruppe um Prof. Dr. med. dent. Gersdorff und OA Dr. med. dent. Krohn beschäftigt sich mit Fragestellungen der physiologischen Funktion sowie Pathologien des Kiefergelenks. In zahlreichen Studien werden interdisziplinäre Zusammenhänge zwischen Craniomandibulären Dysfunktionen und Begleiterkrankungen untersucht. Das primäre Ziel dieser Grundlagenforschung ist die Entwicklung neuer Behandlungsstrategien.

Wissenschaftlicher Hintergrund

 

Unter dem Begriff Craniomandibuläre Dysfunktionen (CMD) wird eine Vielzahl von Symptomen und Beschwerden der Kaumuskulatur und / oder des Kiefergelenks zusammengefasst. Die Entstehung einer CMD wird meist durch das Zusammenwirken verschiedener dentaler und nicht dentaler Faktoren begünstigt. Die Zusammenhänge der multifaktoriellen Ursachen sind jedoch weitestgehend ungeklärt. Die wesentlichen Symptome der CMD sind Schmerzen der Kaumuskulatur, Schmerzen in der Kiefergelenksregion, Gelenkgeräusche und Limitationen der Unterkieferbewegungen. Nicht selten kommen zu den Kardinalsymptomen der CMD-Patienten weitere Begleitsymptome hinzu. Dies sind besonders häufig Kopf-, Nacken- und Rückenschmerzen, Tinnitus oder psychosomatische Beschwerden. Klinische Studien zur Entstehung von CMD gehen daher meist über die zahnmedizinische Ebene hinaus.

Der Einfluss von Aufbiss-Schienen auf die Körperstatik

 

Viele unserer Patienten mit kraniomandibulären Dysfunktionen (CMD) haben zusätzlich orthopädische Beschwerden. Dies sind zum Beispiel Rückenschmerzen, Nackenschmerzen (HWS-Syndrom) oder muskuloskelettale Symptome. Aufgrund der Tatsache, dass CMD-spezifische Symptome und allgemeine muskuloskelettale Symptome sehr häufig gemeinsam auftreten, vermutet man einen kausalen Zusammenhang. Zwar sind die anatomischen und funktionellen Zusammenhänge zwischen dem Kauapparat und dem allgemeinen Halteapparat (Skelett-System) seit langem bekannt, doch der Einfluss von Aufbiss-Schienen auf die Körperstatik ist noch nicht vollständig geklärt. Klinische Beobachtungen zeigen, dass eine erfolgreiche Therapie von CMD-Erkrankungen (z.B. Kaumuskel-Schmerzen) mit Aufbiss-Schienen auch positiven Einfluss auf Symptome des restlichen Halteapparates haben kann. Die genauen Zusammenhänge und Ätiologien werden derzeit in einer prospektiven klinischen Studie untersucht. Im Rahmen dieser Studie sollen mögliche Einflussfaktoren untersucht werden, um somit vielleicht in Zukunft interdisziplinäre Ansätze zur Therapie von orthopädischen Störungen bei primären CMD-Patienten zu entwickeln.

Tinnitus. -Gibt es einen Zusammenhang zwischen Kau- und Hörorgan?

 

In unserer Kiefergelenkssprechstunde klagen Patienten mit kraniomandibulären Dysfunktionen häufig über weitere Beschwerden, die nicht primär dem Kausystem, sondern dem HNO-Bereich zuzuordnen sind. Hierzu zählen zum Beispiel Ohrgeräusche, die als „klingelnd“, „pfeifend“, „summend“ oder „zischend“ wahrgenommen werden. Diese von der Norm abweichende, auditorische Wahrnehmung wird als Tinnitus aurium bezeichnet. Die Ausprägung und die Ursachen können dabei sehr variabel sein. Vaskuläre und muskuläre Pathologien, sowie pathologische Veränderungen der Ohrtrompete (Tuba auditiva), können zu reellen Ohrgeräuschen führen, die vom Untersucher verifiziert werden können und daher als objektiver Tinnitus bezeichnet werden. Der sehr viel häufigere subjektive Tinnitus kann nur vom Patienten wahrgenommen werden und wird durch Schädigungen des Innenohrs, des Hörnervs oder der Hörbahn hervorgerufen. Mittlerweile ist bekannt, dass die Häufigkeit von Tinnitus bei Patienten mit CMD um ein Vielfaches erhöht ist. Diese Tatsache führte in der Literatur zu Spekulationen über eine CMD-assoziierte Form des Tinnitus. Möglicherweise ist diese Korrelation von Tinnitus und CMD auf die gemeinsame embryonale Entwicklung von Kaumuskeln und Muskeln des Hörorgans zurückzuführen. Man vermutet, dass Tinnitus durch dysfunktionelle Überlastungen dieser Muskeln oder Überreizungen der zugehörigen Nerven, hervorgerufen werden kann. Es konnte gezeigt werden, dass die Tinnitus-Beschwerden unter Therapie mit speziellen Aufbiss-Schienen reduziert werden können. Dennoch wird in der Literatur kontrovers diskutiert, ob ein kausaler Zusammenhang zwischen CMD und Tinnitus besteht. Um ein interdisziplinäres Therapiekonzept erarbeiten zu können, untersuchen wir derzeit Ursachen sowie Pathogenese und Therapie beider Erkrankungen im Rahmen einer prospektiven Studie.

Real-Time Magnetresonanz-Tomographie

 

Zur Darstellung des Kiefergelenks, ist die Magnetresonanz-Tomographie das bildgebende Verfahren der Wahl. Mit dieser Technik können alle Gewebe des Kiefergelenks (Knochen und Weichgewebe) mit einer hohen Auflösung dargestellt werden. Im Gegensatz zur Röntgentechnik wird das zu untersuchende Gewebe des Kiefergelenks bei MRT-Aufnahmen nicht mit ionisierender Strahlung, sondern mit Hilfe eines starken Magnetfeldes visualisiert. Bisher werden allerdings zur Beurteilung der Lagebeziehung der einzelnen Strukturen statische MRT-Aufnahmen bei maximaler Mundöffnung und in Schluss-Bisslage angefertigt. Die meisten MRT-Techniken sind aufgrund der langen Datenaufnahme von etwa 10 – 20 Minuten sehr störanfällig gegenüber Bewegungen eines Patienten. Daher wird meist ein Bisskeil zur passiven Mundöffnung verwendet, damit die Bildqualität nicht durch Bewegungsartefakte reduziert wird. Eine am Göttinger Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie entwickelte Technologie macht es möglich, MRT-Filmaufnahmen des Kiefergelenks in Echtzeit aufzuzeichnen. Im Rahmen einer bestehenden Kooperation der Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik mit dem Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie steht diese hochinnovative Technik für verschiedene Projekte zur Verfügung.

Die dynamische 3D-Echtzeit-Visualisierung des humanen Kiefergelenks mit Hilfe eines neuen real-time-MRT-Verfahrens
– Eine Pilotstudie zu intraartikulären Kaukräften

Ziel der geplanten explorativen Studie ist die Implementierung und Validierung eines neuartigen real-time-MRT-Verfahrens zur dynamischen 3D-Echtzeit-Darstellung der Kiefergelenksstrukturen während des Kauvorgangs. Dies umfasst die Visualisierung der dreidimensionalen Lagebeziehung und der dynamischen Veränderungen des Discus articularis, der Fossa articularis, des Kondylus und aller angrenzenden Kiefergelenksstrukturen bei gesunden Probanden ohne craniomandibuläre Dysfunktionen (CMD). Mit Hilfe dieses neuartigen Verfahrens kann die Biomechanik des Kiefergelenks erstmals dreidimensional in Echtzeit beschrieben werden, um die Hypothese zu testen, dass während des Kauvorgangs Kräfte auf die intraartikulären Strukturen wirken.

Psychosomatik in der CMD-Diagnostik

 

Eine Funktionsstörung des Kauorgans äußert sich bei jedem Patienten individuell. Es können unter Anderem schmerzhaftes Kiefergelenksknacken, eine eingeschränkte Mundöffnung, Asymmetrien während der Mundöffnung und Muskelverspannungen auftreten. Darüber hinaus sind – häufig stressbedingtes – Knirschen und Pressen (Bruxismus) Ursache für eine Überlastung des Kausystems. Um den Auslöser für eine Funktionsstörung zu ermitteln gibt es verschiedene Herangehensweisen. Im Rahmen der Erstuntersuchung wird das Anamnesegespräch, die klinische Inspektion sowie eine klinische und eine instrumentelle Funktionsanalyse durchgeführt, um Informationen über somatische (körperliche) Funktionsstörungen zu erhalten. In einigen Fällen treten jedoch Beschwerden auf, die organisch nicht bzw. nicht hinreichend geklärt werden können. Zahnmedizinische Symptome der Patienten mit psychosomatischer Komorbidität manifestieren sich unter anderem in chronischen Schmerzen der Gesichtsregion, oralen Dyskinesien, Mund oder Zungenbrennen sowie Mundtrockenheit. Man vermutet, dass verschiedene psychosomatische Faktoren an der Entstehung einer CMD beteiligt sind. Daher gewinnen psychosoziale Faktoren zunehmendes Interesse in der CMD-Diagnostik. In mehreren Studien wurde bereits deutlich, dass Patienten mit einer diagnostizierten CMD häufiger unter Angststörungen oder Depressionen leiden, als gesunde Probanden. Man vermutet, dass Symptome der CMD im Rahmen einer Depression auftreten oder durch Angstzustände induziert werden können. Ursachen dieser Beschwerden entziehen sich meist der Routinediagnostik. Sie können häufig nur von qualifiziertem Fachpersonal oder durch spezielle Fragebögen erkannt werden. Aus den Ergebnissen dieser Studie könnte die Therapie der Patienten mit psychosomatischen Beschwerden entsprechend angepasst werden, bzw. eine notwendige Überweisung zum entsprechenden Facharzt gezielter eingeleitet werden.

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Publikationen

Artikel 2016 Real-time MRI of the temporomandibular joint at 15 frames per second-A feasibility study. Krohn S, Gersdorff N, Wassmann T, Merboldt KD, Joseph AA, Buergers R, Frahm J Eur J Radiol. 2016 Dec;85(12):2225-2230 (Imp. 2.593) Darstellung der Kiefergelenksfunktion mittels Echtzeit-MRT. Bürgers R, Krohn S, Gersdorff N, Frahm J Deutsche Zahnärztliche Zeitschrift 71(4):292-296 Artikel 2013… mehr